«Wir brauchen auch im digitalen Raum ein eigenes Wertesystem»

Das Leben der Menschen in der Schweiz wird zunehmend digitaler. Diese Entwicklung bietet Unternehmen immer mehr Möglichkeiten, sorgt aber auch für neue Fragen. Der Umgang mit Daten ist dabei eine ganz zentrale – gerade auch in ethischer Hinsicht. «Die Post will hier eine Vorreiterrolle in der Schweiz einnehmen», sagt Wolfgang Eger. Der Informatik-Chef der Post im Interview über Dilemmas, Digitalethik und eine neu geschaffene Stelle.

 Wolfgang Eger, CIO und Mitglied der Konzernleitung der Schweizerischen Post

Wolfgang Eger, CIO und Mitglied der Konzernleitung der Schweizerischen Post

Wolfgang Eger, die IT-Abteilung der Post suchte Anfang März 2022 eine Spezialist*in für Digitalethik. Sind Sie inzwischen fündig geworden?

Wolfgang Eger: Ja. Der Prozess dauerte etwas länger als gewöhnlich. Digitalethik ist eine sehr junge Disziplin, der Pool an talentierten Leuten begrenzt. Dass die Stelle nun besetzt ist, freut mich umso mehr.

Eine Zeitung titelte zur Stellenausschreibung, die Post wisse selber noch nicht genau, was diese Person machen soll. Wissen Sie es inzwischen?

(schmunzelt) Unsere Vorstellung ist durchaus konkret. Aber lassen Sie mich kurz ausholen …

Bitte.

Unser Alltag ist von ethischen und moralischen Fragen geprägt. Was ist richtig? Was falsch? Hier greift unser eigenes Wertesystem. Dilemmas gibt es aber auch in der digitalen Welt. Nicht alles kann per Gesetz geregelt werden – auch hier gibt es Überzeugungen und Werte. Gerade beim Thema Daten, dem heute wertvollsten Gut überhaupt. Die Frage, wie ein Unternehmen mit den Daten seiner Kundinnen und Kunden umgeht, wird immer wichtiger. Wie weit soll die Künstliche Intelligenz gehen? Wo muss der Mensch die Kontrolle haben? Wo kann er sie abgeben? Woran orientieren wir uns? Wir brauchen auch im digitalen Raum ein eigenes ethisches Wertesystem – und dieses geht über Gesetze und Verträge hinaus.

Aber wenn jemand bei den AGB auf OK klickt, ist doch alles gut?

Formell gesehen, ja. Aber das reicht eben nicht. Wie transparent und verständlich legen wir den Kundinnen und Kunden dar, was wir mit ihren Daten machen? Ist für sie nachvollziehbar, wie sie den Umgang mit ihren Daten selber steuern können? Dazu hat die Post sechs Grundprinzipien definiert, denen sie sich verpflichtet: Schadensvermeidung, Rechenschaft, Kontrolle, Transparenz sowie Gerechtigkeit und Autonomie. Leitlinien, die unser digitales Handeln bestimmen. Und hier setzt die Arbeit der Digitalethik-Fachperson an. Vereinfacht gesagt soll sie messbar machen, wie die Post ihre eigenen Vorgaben in der Praxis umsetzt – und ob sie den eigenen Ansprüchen gerecht wird.

Klingt nach einer künftigen Ethik-Prüfstelle, die absegnet oder abwinkt.

Das wäre der falsche Ansatz – auch wenn er wohl am einfachsten umzusetzen wäre. Wir sehen Digitalethik als Chance. Wir wollen im Sinne von «Ethics by Design» die ethischen Grundprinzipien bei der Entwicklung von digitalen Dienstleistungen und Angeboten von Beginn weg einbinden, das ist unser Ziel. Denn erfüllen unsere Produkte und Angebote von Anfang an auch die ethischen Erwartungen und bestätigen das in die Post gesetzte Vertrauen, schaffen wir langfristig mehr Vertrauen und Akzeptanz. In der Theorie einfach gesagt, in der Praxis sehr komplex. Die Post hat sehr viele Anspruchsgruppen. Wer hat welche Erwartungen? Daran arbeiten wir. Die Post hat übrigens bereits heute Services, wo digitalethische Prinzipien erkennbar sind.

Zum Beispiel?

Nehmen wir die Dienstleistung «Angebote Dritter kennenlernen». Die Post schreibt dabei ihre Kundinnen und Kunden gezielt an, ob Sie an Dienstleistungen von Firmen interessiert sind, die für sie nützlich oder spannend sein könnten. Offen, verständlich, nachvollziehbar. Wer einwilligt, erhält umfassend Informationen, was danach mit seinen Daten geschieht. Das OK lässt sich jederzeit wieder zurücknehmen – im eigenen Online-Benutzerkonto der Post etwa mit einem Klick. Alles ist sehr transparent, die Kundinnen und Kunden entscheiden, was sie von sich preisgeben wollen. In diese Richtung wollen wir uns bewegen. Aber zuerst müssen wir unsere Hausaufgaben machen.

Und die wären?

Digitalethik ist noch sehr neu. Es gibt nur wenige «Vorgaben», gleichzeitig ist das Gebiet sehr breit. Es geht nicht nur um Daten, sondern zum Beispiel auch um automatische Algorithmen und wie sie entscheiden. Entscheiden sie wirklich «neutral»? Wir müssen das Bewusstsein für dieses Thema stärken und uns damit dauernd auseinandersetzen. Das Portfolio des Post-Konzerns etwa ist sehr breit: Logistik, Kommunikation, öffentlicher Verkehr, Verkauf – da stellen sich ganz unterschiedliche digitalethische Fragen. Wir müssen herausfinden: Was brauchen unsere Kundinnen und Kunden und unsere Mitarbeitenden, wenn wir Digitalethik in den Alltag einbinden? Wie können wir sie bestmöglich unterstützen? Welches Gerüst, welche Werkzeuge sind nötig?

Heisst: Faktisch steht die Post bei der Digitalethik noch ganz am Anfang.

Ich behaupte: Wir sind im schweizweiten Vergleich bereits tief im Thema drin. Wir setzen uns intensiv damit auseinander, wie die Post digitalethische Prinzipien so anwenden kann, damit sie für alle einen Nutzen stiften. Wir wollen eine Vorreiterrolle in der Schweiz einnehmen und die Wirtschaft und Gesellschaft dabei unterstützen, ein Bewusstsein für das Thema aufzubauen. Aber dafür braucht es viel mehr als nur Prinzipien – und da sind wir wieder beim Vertrauen. Wissen Sie, weshalb die Post vor über 170 Jahren gegründet wurde?

Jemand musste die Briefe ja von A nach B transportieren …

Der Grund war das Briefgeheimnis. Es ging darum, sicher, zuverlässig und vertrauenswürdig Informationen zu übermitteln. Das will die Post auch im digitalen Raum vorleben. Die Ausgangslage ist gut, das Vertrauen der Schweizer Bevölkerung in die Post ist hoch. Aber wir müssen den Tatbeweis erbringen, dass wir dieses Vertrauen auch weiterhin verdienen. Vertrauen ist das Fundament. Nur auf diesem kann die Post vorwärtsgehen und Neues wagen.

Info: Mehr zum Thema im Innopodcast «Mit Datenethik aus dem Dilemma»

 

Datensicherheit: Das unternimmt die Post

Im Umgang mit Daten spielt deren Sicherheit eine zentrale Rolle. Um ihre Informationssysteme, Dienstleistungen und die ihr anvertrauten Daten zu schützen, setzt die Post auf viele Massnahmen. Hier ein Auszug:

Bug Bounty Programm: Ethische Hacker suchen auf Einladung oder im Rahmen eines Programms gezielt nach Schwachstellen oder Sicherheitslücken eines Systems oder einer digitalen Dienstleistung. Findings werden von der Post belohnt – im Gegenzug erhält sie Informationen über die Vorgehensweise der Hacker und kann daraus Massnahmen ableiten, siehe auch hier. Über 1100 Schwachstellen konnten so bisher gefunden und über 357’000 Euro Bounties ausgezahlt werden.
«Communities of Practice»: Die Post baut im ganzen Konzern Netzwerke auf, um Themen wie das Management von Sicherheitsvorfällen und die Wiederherstellung im Notfall (Security Champions) und Digitale Innovation voranzutreiben (Digital Champions). Zu Letzterem gehört auch die neu geschaffene Stelle Digitalethik.