Sie macht Digitalethik greifbar – und ist Expertin für blinde Flecken und unbequeme Fragen

Die Post ist überzeugt: Vertrauenswürdige und sichere digitale Dienstleistungen sind der Schlüssel zum Erfolg von morgen. Was es dafür braucht? Nebst einem gesetzeskonformen Datenschutz vor allem auch Werte und Überzeugungen für das eigene Handeln im digitalen Raum. Christina Meyer leistet dazu einen Beitrag. Sie ist die erste Spezialistin für Digitalethik bei der Post. Noch muss sie ihre Arbeit oft erklären – und räumt dabei jeweils gleich ein Missverständnis aus.

 

Christina Meyer, «Spezialistin Digitalethik» bei der Post

Christina Meyer, «Spezialistin Digitalethik» bei der Post

 

Wenn Christina Meyer über ihren Beruf spricht, greift sie jeweils vor: «Auch wenn Ethik ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist – ich bin keine Philosophin.» Das vermeintliche Missverständnis ist naheliegend. Christina Meyer ist «Spezialistin Digitalethik» bei der Post. Ihre Themen sind Daten, Algorithmen und Technologien. Ihre Rolle? Wegbereiterin. Ihr Arbeitsalltag? Grundlagen schaffen, sich vernetzen, das Bewusstsein für ihr Thema schärfen. Ihre Bilanz nach einem halben Jahr: «Eine spannende Aufgabe. Noch ist vieles Theorie. Aber der Anfang ist gemacht.»

Um Christina Meyers Aufgabe zu verstehen, muss man wissen: Der sichere und vertrauenswürdige Umgang mit Daten hat für die Post höchste Priorität. Sie hält sich beim Datenschutz streng an das Gesetz. Allein um die Sicherheit der Daten kümmern sich bei der Post rund um die Uhr 70 Mitarbeitende. Datenschutz heisst klare Regeln. Digitalethik hingegen beschäftigt sich mit moralisch-ethischen Fragen in der digitalen Welt: Wie geht eine Firma mit Daten um? Legt sie verständlich dar, weshalb und zu welchem Zweck sie Daten verarbeitet? Wie verhindert sie, dass ihre Algorithmen niemanden bevorzugen? Und wie, dass sie beim Zugang zu ihren digitalen Services niemanden benachteiligt? Für Christina Meyer ist klar: «Organisationen wie die Post müssen wissen, für welche Werte und Überzeugungen sie im digitalen Raum einstehen – und diese gehen über Gesetze, Richtlinien und Sicherheitsvorgaben hinaus.» Einen ersten Schritt hat die Post bereits gemacht. Vor rund zwei Jahren hat sie den eigenen Anspruch an ihr digitales Handeln definiert und dazu sechs Leitprinzipien formuliert (siehe Infobox).

«Digitale Ethik ist eine Chance für die Post»

Meyers Arbeit soll dazu beitragen, dass die Post ihre Leitprinzipien in die Praxis umsetzt und den eigenen Ansprüchen gerecht wird. Dabei nimmt Meyer sowohl die Vogelperspektive als auch die Sicht einer Kundin, Bürgerin oder Mitarbeiterin ein. Sie stellt unbequeme Fragen, sucht nach blinden Flecken und leitet aus Erkenntnissen konkrete Lösungen ab. «Die Post sieht Digitalethik als Chance», sagt Christina Meyer. «Und ich leiste meinen Teil dazu, dass wir diese packen.» Das Vertrauen wird dabei ein entscheidender Faktor sein. In der analogen Welt vertraut die Bevölkerung in der Schweiz der Post in hohem Mass. Doch wie verdient sie sich dasselbe Vertrauen für ihre digitalen und datengetriebenen Dienstleistungen und Geschäftsmodelle? «Indem unsere Angebote sicher, vertrauenswürdig und nachhaltig sind – und die digitalen Werte der Post wie auch die Erwartungen der Nutzerinnen und Nutzer erfüllen», ist Christina Meyers Antwort. «Nur dann sind die Menschen bereit, ihre Daten mit uns zu teilen.»

In den letzten Monaten hat Meyer unter anderem einen Digitalethik-Leitfaden erarbeitet. Einen Kompass für all jene, die bei der Post neue Services kreieren und an neuen Geschäftsmodellen tüfteln. Das Prinzip: «Ethics by Design». Der Ansatz: Wer bei der Post neue Dienstleistungen und Angebote entwickelt, hat die digitalethischen Leitplanken des Konzerns stets im Blick und bindet diese Prinzipien von Beginn weg ein. Wissend, dass man dabei immer auch auf Zielkonflikte stösst. Stetiges Hinterfragen und Spiegeln sind deshalb das A und O – zum Beispiel so: «Ist für den Kunden transparent und verständlich, was wir mit seinen Daten machen? Kann die Kundin nachvollziehen, wie sie den Umgang mit ihren Daten selbst steuern kann? Der erhoffte Effekt dieses Vorgehens: Erfüllt ein neues digitales Produkt von Anfang an die ethischen Erwartungen der Nutzerinnen und Nutzer, wird so auch ihr Vertrauen bestätigt. Das wiederum stärkt langfristig das Vertrauen in die Angebote der Post und sichert den wirtschaftlichen Erfolg.

Coach und Beraterin, aber keine Prüfstelle

Der 15 Seiten lange Leitfaden verdeutlicht gut, wie Christina Meyer ihren Job als Digitalethikerin versteht. «Ich will Orientierung schaffen, Hilfsmittel erarbeiten und zum Denken anregen. Wenn mir dies gelingt, erkennen die Mitarbeitenden den Mehrwert von selbst, den Digitalethik für die Post bringt.» Was Meyer nicht will: eine Prüfstelle sein, die bei der Abnahme den Daumen hebt oder senkt. Vielmehr sieht sie sich als Coach und Beraterin, die Prozesse und Projekte begleitet. Ohne langen Atem geht das nicht. «Wer einem Unternehmen Digitalethik ‹einimpft›, weiss, dass sich diese Arbeit über Jahre erstreckt», sagt Christina Meyer. Bald schon sollen aber erste Tatbeweise folgen. In der Ferne winkt bereits das erste mögliche digitale Label für einen Service der Post. Solche externe Gütesiegel erhalten digitale Dienstleistungen, wenn sie zahlreiche Kriterien erfüllen und deshalb als besonders vertrauenswürdig und sicher gelten. Spruchreif ist allerdings noch nichts.

Unterdessen spinnt Meyer ihr Expertinnen- und Community-Netzwerk ausserhalb der Post weiter und arbeitet als Post-Vertreterin bei Projekten wie dem «Swiss Digital Ethics Compass» mit, das von der Universität Freiburg und der Hochschule Luzern initiiert und von der Agentur für Innovationsförderung (Innosuisse) unterstützt wird. Ihren Exotinnenstatus ist Meyer indes bald los. Die Post rekrutiert derzeit eine Fachperson für Digitalethik und künstliche Intelligenz. Gut möglich, dass diese Person bereits nicht mehr erklären muss, weshalb sie keine Philosophin ist.

Zur Person: Christina Meyer, 38, Master in Betriebs- und Sozialwissenschaft, Weiterbildung in Datenproduktdesign, hat bereits im Marketing, als Projektmanagerin und Verantwortliche für digitale Produkte gearbeitet. Zudem war sie im Innovationsmanagement einer Versicherung tätig. Meyer arbeitet am Hauptsitz der Post in Bern und lebt im Kanton Zürich.

 

Die sechs digitalethischen Grundprinzipien der Post

Digitalethik ist eine sehr junge Disziplin. Die Post will hier eine Vorreiterrolle übernehmen und für das Thema ein Bewusstsein schaffen. Bei ihrem digitalen Handeln orientiert sich die Post an folgenden Grundprinzipien:

  • Schadensvermeidung: Daten erhebt die Post transparent und garantiert, dass ihr anvertraute Daten sicher sind und sie diese schützt. Die unberechtigte Verarbeitung und Weitergabe ist ein absolutes Tabu.
  • Gerechtigkeit/Fairness: Digitale Services und Angebote der Post sind allen zugänglich und schliessen niemanden aus.
  • Autonomie: Volle Entscheidungs- und Handlungsfreiheit für die Nutzerinnen und Nutzer. Sie entscheiden, welche Daten die Post verwenden kann und wofür. Zudem will die Post ihre Anspruchsgruppen bei der Entwicklung von Services stärker einbinden.
  • Transparenz/Erklärbarkeit: Die Post erklärt verständlich und transparent, welche Daten sie nutzt, weshalb und mit welchen allfälligen Partnern.
  • Kontrolle: Was passiert mit den Daten? Und wo werden sie gespeichert? Wie die Post Daten bearbeitet, muss für die Nutzerinnen und Nutzer klar sein – und für die Post ebenso.
  • Rechenschaft: Die Post will Verantwortung übernehmen, wenn sie ihre eigenen Prinzipien verletzt, und klare Zuständigkeiten schaffen. Heisst: Wer das Vorgehen der Post nicht goutiert oder etwas nicht nachvollziehen kann, weiss, wohin er oder sie sich wenden kann.