Die längste Post-Tour der Schweiz: Wenn die Pöstlerin über 100 Kilometer am Tag zurücklegt
Pöstlerin Anna Egger hat alle Hände voll zu tun: Das Auto voller Pakete, Briefe und Zeitungen. Das alles muss sie bis am Mittag zu den Menschen im Bündner Safiental liefern. Über 100 Kilometer legt die Pöstlerin dafür zurück. Es ist die längste Post-Zustell-Tour der Schweiz. Unterwegs an steilen Hängen in einer naturgeladenen Region.
Früher Montagmorgen in der Distributionsbasis der Post in Schluein, Kanton Graubünden. Ungefähr 45 Mitarbeitende stellen hier die Pakete, Briefe und Zeitungen für rund 5’000 Haushalte und Firmen in und um die Kleinstadt Ilanz zusammen. Darunter Pöstlerin Anna Egger. Sie ist heute früher bereit als sonst. Um 6.45 Uhr hat sie bereits alle Briefe und Zeitungen für ihr Gebiet – das Safiental – sortiert und das Auto mit den Paketen beladen. Es kann losgehen auf die mit 103 Kilometern längste Post-Zustell-Tour der Schweiz.
«Bei der Post lernt man das Rückwärtsfahren»
Von der Distributionsbasis in Schluein geht es zuerst mehrere Kilometer durch die Dörfer Valendas und Versam, oberhalb der tosenden Rheinschlucht Ruinaulta. Bereits bei der 20-minütigen Autofahrt merkt man: die Pöstlerin hat keine Zeit zu verlieren. Jede Gangschaltung sitzt. Denn trotz der atemberaubenden Landschaft zwischen Berggipfeln, Schluchten und schönen Wiesen ist die Fahrt für Anna Egger kein gemütlicher Ausflug ins Grüne. Schliesslich muss die Post auch im Safiental pünktlich sein und die Tageszeitungen bis spätestens 12.30 Uhr in die Haushaltungen liefern. Kurz nach Versam beginnt die eigentliche Zustelltour von Anna Egger: Einzelne Häuser am Strassenrand, gefolgt von Siedlungen am Hang wie zum Beispiel das Dörfchen Tenna. Es geht steil nach oben, dann direkt in kleine Hauseinfahrten auf Naturstrassen und rückwärts zackig wieder zurück. Anna Egger sagt leicht verschmitzt: «Bei der Post lernst du, richtig rückwärtszufahren».
- Anna Egger arbeitet seit 7 Jahren als Pöstlerin im Safiental
- Die Post im Bergparadies der Gemeinde Safien
- Anna Egger zu Fuss im Einsatz: Auch Huhn und Gans sind tägliche Bekanntschaften
Teamwork ist der Königsweg

Gibt es eingeschriebene Briefe heute? Übergabe und kurze Absprache zwischen den Pöstlerinnen Anna Egger (rechts) und Sonja Gartmann (links)
Nach ungefähr 40 gefahrenen Kilometern und etwa gleichviel bedienten Adressen geht es nach Safien Platz. Hier übergibt Anna Egger einen Teil der Post an ihre Kollegin Sonja Gartmann. Kurz zuvor hatten sich die beiden Kolleginnen per Handy ein Signal gegeben. Drei Mal Klingeln heisst: Mach dich parat, in 15 Minuten ist Übergabe. Sonja Gartmann bedient nun den hinteren Teil des Safientals. In dieser Zeit kurvt Anna Egger weiter in Richtung Zalön. «Teamwork ist wichtig», sagen beide. Die Pöstlerinnen und Pöstler in der Region sind wie eine kleine Familie. Man hilft sich aus und hört aufeinander. Denn anders wäre es nicht möglich, die Pakete, Zeitungen und Briefe pünktlich auszutragen. Zu viele verschiedene Siedlungen gibt es, zu denen nur eine Strasse hin und wieder zurückführt. Am eindrücklichsten wird dies beim Bauernhof Calörtsch auf 1400 Meter über Meer: Vier Kilometer Fahrt auf einer steilen Schotterstrasse sind nötig, alleine um diesen Hof zu erreichen.
Sonja Gartmann, eine gebürtige Glarnerin, ist seit ihrer Lehre bei der Post. Durch ihren Ehemann ist sie vor Jahren ins Safiental gezogen. Auch sie kennt jeden Winkel und erfreut sich immer noch jeden Tag ob der schieren Schönheit ihres Arbeitsortes: saftige Wiesen, steile Hänge, Aussicht auf Glaser Grat und Bruschg Horn, in der Schlucht rauscht der Rhein-Nebenfluss Rabiusa. Das naturgeladene Safiental im Kanton Graubünden ist ohne Zweifel eine der schönsten Regionen der Schweiz. «Wenn es nach mir ginge, würde ich hier die Post am liebsten zu Fuss austragen», lacht die begeisterte Wandrerin und fügt an: «Klar. Das wäre natürlich bei den heutigen Paketmengen nicht effizient».
Wo der Rasenmäher der Sense weicht
Apropos Päckli. Was lassen sich denn die Safierinnen und Safier nach Hause schicken? Dazu Anna Egger: «Eigentlich alles, was sich die Leute auch sonst wo bestellen». Nur Klimaanlagen und Rasenmäher habe sie hier noch nie jemandem geliefert. Die Menschen seien im Safiental genügsam. «Hier mähen viele Leute noch mit der Sense!», sagt sie und zeigt vom Auto aus auf einen jungen Mann, der sich tatsächlich gerade der Sense bedient. Es ist mittlerweile 11.30 Uhr und Anna Egger hat von ihrer Kollegin Sonja Gartmann gerade wieder die Retour-Post entgegengenommen, die diese in den Ortsteilen Camana und Thalkirch von den Haushalten erhalten hat. Den Hausservice der Post benutzen hier viele Menschen – Jung und Alt. Der Pöstlerin Briefe und Pakete mitgeben zu können, erspart gerade den Leuten im hintersten Teil von Safien den Gang zur nächsten Postfiliale.
- Die Post im Einsatz, wo andere Ferien machen
- Im Safiental beliebt: Sonja Gartmann nimmt einen Hausservice-Auftrag entgegen
- Man kennt sich: Der PostAuto-Chauffeur nimmt seine Post gleich selbst von Sonja Gartmann in Empfang
- Die Glarnerin Sonja Gartmann staunt auch nach vielen Jahren im Safiental immer noch über ihren Arbeitsort vor schönster Bergkulisse
Frische Rhabarbern als Dankeschön
Der Montag anfangs Juli ist ein guter Tag: leichter Nebel am Start, danach ein Sonnen-Wolken-Mix bei 20 Grad. «Ideal», sagt Anna und fügt gleich an: «Es geht aber auch anders. Der vergangene Winter war sehr schneereich bis weit in den Frühling hinein. Da hat es sich gelohnt, Gamaschen an den Beinen zu tragen, um durch die Schneemassen zu den Briefkästen zu gelangen.» Auch Schneeketten montieren gehöre im Winter ab und an dazu. Und da wären noch die Lawinen. Diese sind im Safiental keine Seltenheit. «Es kann vorkommen, dass ein Teil der Gemeinde Safien ein oder zwei Tage nicht erreichbar ist», sagt Anna Egger. «Aber die Leute hier wissen das und zeigen immer Verständnis». Gerade wegen den Menschen liebt die Pöstlerin, die früher mal im Gastgewerbe arbeitete, diesen Job so sehr. «Die Leute sind herzlich und suchen den Kontakt», sagt sie. Der Beweis: Heute gibt ihr eine Kundin ein Bündel frische Rhabarbern als Dankeschön mit auf den Weg. Die kleinen Gesten sind unterschiedlich. Natürlich gibt es auch ab und zu einen Bergkäse oder im Winter, gerade vor Weihnachten, eine gute Bündner Salsiz.
Um 12.30 Uhr folgen heute die letzten Häuser in den Orten Gün und Arezen. Danach eilt Anna Egger wieder runter ins Tal. Unterwegs holt sie noch die aufgegebenen Pakete in der Postfiliale Versam ab und fährt wieder in die Distributionsbasis Schluein. Um 13. 15 Uhr heisst es: Abladen und Feierabend nach über 100 Kilometern.
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