PS-starke Protzbrocken fallen durch

Mit über 11’000 Fahrzeugen in der Zustellung verfügt die Post über eine der grössten Zustellflotten der Schweiz. Nicht Design, Pferdestärken oder knackiges Fahrwerk entscheiden über die Auswahl der Fahrzeuge: Höhe der Ladefläche, Übersichtlichkeit und Stärke der Schiebetüren und Motoranlasser lassen die Herzen der Fahrzeugtester höherschlagen.

Wer kennt sie nicht die verwegenen Testfahrer in den einschlägigen TV-Automobilsendungen, wie sie mit quietschenden Reifen durch die Kurven driften, die neusten PS-Monster durch Pylonen jagen und in Beschleunigungsorgien schwarze Streifen auf den Asphalt abgesperrter Flugplatzpisten zeichnen. Auch wenn der kultige Pöstler «Richi» Stöckli in Werbespots für Digitec selbst gelbe Zustell-Roller zum Quietschen bringt: Ganz so spektakulär bewegen Testfahrer der Schweizerischen Post die Auswahl neuer Fahrzeuge nicht. Das nehmen ihnen heute die Profis der Autokonzerne, Hochglanzmagazine oder Life-Style-Gefässe bereits ab – die Postfahrer haben die Fahrzeuge vor einer möglichen Grossbestellung noch auf ihre Eignung für den harten Postalltag auch bei Kälte und Hitze, Wind, Regen und Schnee zu testen.

 

Nicht mehr Marke Post-Eigenbau

Im Gegensatz zu vergangenen Zeiten entwickelt die Post ihre Fahrzeuge nicht mehr selbst (siehe Zusatzbeitrag). Sie bestellt heute ihre rund 11’000 Fahrzeuge umfassenden Zustellflotte «von der Stange». Dies gilt für die Dreiradroller, die 4×4-Fahrzeuge bis hin zu grossvolumigen Lieferwagen oder gar Schnee-Skooter und Elektrofahrzeuge in den verkehrsfreien Ski- und Tourismusdestinationen der Alpen. Die Post lässt die Fahrzeuge gemäss ihrer speziellen Beanspruchung im Postalltag wo nötig verstärken, wie Thomas J. Ernst, «Nationale Transporte und Beschaffung» bei PostLogistics sagt. Beispielsweise die Schiebetüren der grossen Lieferwagen der Paketzusteller: Pro Tag und Zustelltour werden die nicht weniger als 250 Mal geöffnet und geschlossen. Ein Auge werfen die Fahrzeugprüfer auch auf den Motoranlasser, wird der Fahrzeugmotor auf der Zustellung doch pro Tag gut 120 Mal abgestellt und neu gestartet.

 

Alltag erleichtern

Doch Thomas J. Ernst setzt nicht nur hohe technische Massstäbe an die gut 1650 Lieferwagen der Paketboten. Er ist auch verantwortlich dafür, dass die Zusteller pro Jahr im Austausch 400 neue Fahrzeuge als Arbeitsinstrument erhalten, die ihnen den Berufsalltag erleichtern. «Bei Fahrzeugen mit Hinterrad- oder Allradantrieb ist die Ladefläche aufgrund ihrer komplexeren Antriebstechnik etwas höher angesetzt. 5-10 Zentimeter Höhe können aber ausschlaggebend sein, wenn der Postbote auf seiner Tour über 100 Mal in den Laderaum steigt», sagt Ernst. Dies gilt auch für die Innen-Höhe oder die Zugänglichkeit auf den Fahrersitz hinter dem Steuerrad. Entscheidend für die Wahl kann nebst Ladefläche, Verbrauch, Grösse und Erstellungskosten auch der Radeinschlag der Fahrzeuge sein: Ist der Radius des Wendekreises grösser, muss der Postbote sein Fahrzeug beim Manövrieren öfters zurücksetzen, was seine Tour zeitlich empfindlich verlängern kann und dem Pneuabrieb nicht förderlich ist. Und auch punkto Übersichtlichkeit vom Fahrersitz aus, müssen die künftigen Postfahrzeuge die Tester überzeugen. Mit gutem Grund, wie Thomas J. Ernst darlegt: «Die Lieferfahrzeuge der Paketboten zählen bis zu 2500 Schadenfälle pro Jahr». Von kleinen Beulen, Blinker- und Aussenspiegelschäden bis hin zu kostspieligen Reparaturen nach einem Verkehrsunfall. «Durch die richtige Fahrzeugwahl können wir Schadensummen von jährlich über 10 Millionen Franken verringern und einen gewichtigen Beitrag auf der Kostenseite der Paketzustellung leisten», sagt Thomas J. Ernst.

 

Alternativfahrzeuge

Etwas schwieriger im Automobilmarkt zu ordern sind grössere Zustellfahrzeuge mit Alternativantrieben. Mit gut 6000 Dreirad-Elektrorollern (Blog DXP) ist die Post im Segment der leichten Fahrzeuge bereits sehr gut aufgestellt. Bei den grösseren Nutzfahrzeugen ist gemäss Thomas J. Ernst von PostLogistics der Durchbruch noch nicht erfolgt. «Erst ab Ende 2019 versprechen die europäischen Hersteller seriengefertigte Lieferwagen mit Elektroantrieb. Wir hoffen, dass in naher Zukunft unser jährlicher Bedarf an Neufahrzeugen abgedeckt werden kann». Und: Die Fahrzeuge mit höheren Erstehungskosten und Investitionen in örtliche Ladestationen verfügen über keine grössere Ladefläche oder Zuladungsmöglichkeit, so dass die Wirtschaftlichkeit mit der heutigen Paketlogistik noch nicht gegeben ist. Dies könnte sich mit den Einkaufsgewohnheiten der Kunden im E-Commerce in den kommenden Jahren ändern: Statt eine Tour pro Tag mit einem grossen Paketvolumen pro Fahrzeug entwickelt sich die Logistik Richtung mehreren Zustellungswellen pro Tag: Der Kunde wählt aus verschiedenen Zeitfenstern aus, wann er die Sendung empfangen will – der Paketbote bringt ihm die Sendung voraussichtlich mit etwas kleineren emissionsfreien Fahrzeugen.

 


 

Innovationstreiberin Post

Kauft die Schweizerische Post heute ihre Fahrzeuge von bekannten und grossen Fahrzeugherstellern «ab Stange», so war einst die «Eidgenössische Post» und spätere «PTT» als Auftraggeberin für die Entwicklung spezieller Postfahrzeuge eigentliche Innovationstreiberin der Epoche. Im Bereich des Personentransports beauftragte die Post beispielsweise ab 1906 die Schweizer Hersteller «Berna», «Martini» und «Saurer» mit dem Bau von «Postomnibussen».

Über die Zeit waren dies Fahrzeuge in unterschiedlichsten Ausprägungen. Sei es als «Allwetterwagen» mit Cabriolet-Verdeck, mit Gepäckanhänger oder im Winter als Saurer-Alpenwagen «Car-alpin» mit Raupenantrieb auf der Hinterachse und bei Schnee Kufen unter den Vorderrädern.

 

In der Zustellung erleichterten um 1890 grosse abdeckbare Handkarren mit Holzspeichen-Räder die Arbeit der «Paketbriefträger». Im Bild ein Postbote vor der Hauptpost Luzern.

Diese wurden in einem weiteren Innovationsschub für die Paketzustellung um1925 von Dreirad-Fahrrädern abgelöst, die – kräftige Beine des Postboten vorausgesetzt – mit 150-180 kg beladen werden konnten.

 

Bereits ab 1919 experimentierte die Post in enger Zusammenarbeit mit dem Hersteller «Tribelhorn» mit Elektro-Dreiräder. Das kastenartige Gefährt sorgte für Aufsehen aufgrund seiner eleganten Karosserieform. Es war als sogenannter «Zustellfourgon» entwickelt für den Verkehr auf den engen Bahnhofperrons zum Ent-und Beladen der Bahnpostwagen. Das Elektrogefährt inmitten der Reisenden war klein, wendig, abgas- und geräuscharm. Diese Dreiradfahrzeuge wurden bis 1950 auch zur Beförderung von Eilsendungen eingesetzt.

 

Als Weiterentwicklung setzte die Post in der Folge neue «Zustellfourgons» ein, grosse Kastenwagen auf vier Rädern mit einer kleinen Fahrerkabine und zwei Scheinwerfer, die dem Postgefährt ein knuffiges Aussehen gaben.

 

Bilder aus «Ab die Post – 150 Jahre schweizerische Post», Karl Kronig, Museum für Kommunikation, Bern