Der Postmusik droht der Schlussakkord
Mit Stolz blickte einst die Post, damals noch Teil der PTT, auf die Postmusik-Vereine. Grosse Musikkapellen gab es in Zürich, St. Gallen, Lausanne oder auch in Basel. Diese Goldenen Zeiten sind jedoch lange vorbei. Mit der Berner Formation droht der letzten Schweizer Postmusik das Aus.
Seit genau 114 Jahren gibt es die Berner Postmusik. Das musikalische Repertoire der vielköpfigen Harmoniemusik reicht vom Marsch bis hin zum Swing und poppigen Neuinterpretationen. Trotz grossem Können und viel Einsatz und Wille weiterzumachen, ist vom üppigen Glanz alter Tage aber nur noch wenig übrig. «Rosig sieht anders aus», sagt Postmusik-Präsident Stefan Wildbolz. «Ich will nicht schwarzmalen und keine Notenblätter mit dem Abgesang auf die Postmusik verteilen – doch die Zeit spielt gegen uns.» Vor allem die Überalterung der Musiker macht dem Präsidenten Sorge. Auch wenn niemand im Verein ans Aufgeben denken will – es schleckt keine Geiss weg: Der Altersdurchschnitt liegt bei 57 Jahren.

Die Postmusik Bern sucht Nachwuchs, damit dem diesjährigen 114-Jahr-Jubiläum weitere folgen.
Noch in den 1980er-Jahren spielten mehr als 60 Musiker in eleganten blaugrauen Uniformen an Paraden, Festen und Anlässen auf. Die Kapelle wurde sogar von der eigenen Majorettentruppe angeführt. In kurzgeschnittenen Uniformen verblüfften sie die Zuschauer mit akrobatischen Einlagen ihrer Bâton-Stäbe. Die Majoretten in ihren Uniformen waren in etwa die Cheerleader von heute.

Ihren ersten grossen Auftritt hatten die Berner Majoretten 1970 am Delegiertentreffen des Welttelegrafenbundes.
Wie damals begeistert die Postmusik das Publikum immer noch mit ihren Auftritten – auch wenn die Show-Girls heute fehlen. Ein Ständchen vor Betagten im Altersheim oder besinnlich in der Adventszeit in einer Kirchgemeinde – die Postmusik trifft den richtigen Ton und noch dazu die Herzen der Menschen. Und trotzdem ist die Zukunft der Formation gefährdet. Immer weniger Junge interessieren sich dafür.
Vor 114 Jahren fing alles als eine Art Ad-hoc-Band an. Am Familienabend der Berner Pöstler im Januar 1905 spielten die Briefträger Otto Zimmermann und Christian von Gunten beherzt auf und ernteten dafür grossen Applaus. Kurz darauf trafen sich in der Wohnung von Briefträger Zimmermann 14 Pöstler mit ihren Instrumenten. Überliefert ist: Es seien «qualvolle erste Übungen» gewesen. Aber sie müssen dennoch Spass gemacht haben. Denn am 9. April 1905 gründeten eine Handvoll Pöstler beim sonntäglichen Morgenbrunch im Café von Gunten an der Aarbergergasse die Postmusik Bern.
«Uns sterben die treuen Mitglieder weg»
Im Gegensatz zu früheren Glanzzeiten zählt die Truppe heute nur noch halb so viele Bläser, Flötisten und Trommler. Die Postmusik ist überaltert. Und von den einst über 500 Passivmitgliedern halten einzig noch rund 200 die Treue – jene dafür umso leidenschaftlicher. Leidenschaft alleine reicht jedoch nicht aus, es braucht frisches Blut. Wie akut der Präsident die Situation einschätzt, zeigt auch ein Blick in die Vereinskasse. «Uns sterben die treuen Mitglieder weg und mit ihnen auch unsere finanzielle Basis.»

Einweihung der ersten Berner Postmusik-Fahne im Jahr 1927.
Die Stadt Bern hat die Postmusik früher mit Geldern aus dem Bereich Kultur unterstützt. Wegen eines neuen Verteilverfahrens sei der Aufwand seit rund fünf Jahren aber viel grösser geworden, um an Unterstützungsgelder zu gelangen. Trotz zahlreich gestellter Anträge fällt der Zustupf der Stadt an die Auslagen der Berner Postmusik nun markant kleiner aus. «Es wird kritisch», sagt Wildbolz. Aus- und Weiterbildungstage seien kostspielig und ebenso Revisionen oder Reparaturkosten an den Instrumenten. «Alleine für die Saalmiete bezahlen wir rasch einmal mehr als tausend Franken – das holen wir mit Eintritten oft nicht mehr heraus», beschreibt Wildbolz die Situation.
Mehr noch als die Finanzen bekümmert den Präsidenten aber die Überalterung seines Vereins. Dabei hätten die Postmusiker dem dringend gesuchten Nachwuchs einiges zu bieten. Noch so gerne würden sie einer neuen Generation ihr Wissen weitergeben. Wie Kurt Rüegg, eines der ältesten Vereinsmitglieder. Kaum einer bläst das Posthorn so virtuos wie er. Und wer wie Rüegg das Horn so im Griff hat, spielt daneben auch noch andere Instrumente meisterhaft. Von solch arrivierten Musikern könnte der gesuchte Nachwuchs profitieren – würde man ihn denn finden.
Neuer «Bandleader» gesucht
Frische und jugendliche Interpretationen mit dem Posthorn – darüber würde sich der Postmusik-Präsident freuen. Mit 56 Jahren gehört er gar der «jungen Fraktion» innerhalb der Postmusik an, denn das Durchschnittsalter liegt bei 57 Jahren. «Das muss sich ändern – wenn wir als Postmusik überleben wollen, brauchen wir eine Frischzellenkur», ist Wildbolz überzeugt. Nebst Musiker-Nachwuchs sucht die Postmusik auch einen neuen Dirigenten. Der bisherige «Bandleader» hat nicht etwa den Bettel hingeworfen. «Er will sich weiterentwickeln und wünscht sich ein Engagement mit breiterer instrumentaler Besetzung und Grösse», erklärt Wildbolz. Der Neue soll an die gute Arbeit seines Vorgängers anknüpfen und dabei auch eigene Ideen umsetzen können. Vieles soll neu werden – eines aber bleiben: die grosse Freude am Musizieren, die seit nunmehr 114 Jahren anhält und hoffentlich weitergeht.
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