Gutachten: Die jüngsten Zukäufe der Post sind rechtlich in Ordnung
Was darf die Post? Was darf sie nicht? Genau das regelt der Zweckartikel nach Artikel 3 im Postorganisationsgesetz. Diesen hat Professor Andreas Stöckli der Universität Fribourg genauer analysiert. Der Autor kam zum Schluss, dass der Artikel weit verstanden werden muss. Damit sind die jüngsten Zukäufe der Post rechtlich in Ordnung. Mit dieser Interpretation gibt es für die Post gesetzlich grünes Licht, flexibel auf künftige Entwicklungen zu reagieren.
Livesystems, Klara oder Tresorit: Die Post hat mit ihren jüngsten Einkäufen immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Viele Fragen wurden diskutiert und von Wettbewerbern der Post ins Feld geführt. Sind die Zukäufe rechtlich in Ordnung? Darf sich die Post wirklich im Bereich des digitalen Werbemarkts bewegen? Und inwiefern soll die Post auf die Digitalisierung überhaupt reagieren? Die Post wollte es genau wissen und hat alle diese Fragen einem unabhängigen Experten vorgelegt. Nun liegt ein Gutachten auf dem Tisch. Andreas Stöckli, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Fribourg, Autor des Gutachtens, nimmt zu den wichtigsten Fragen Stellung.
Andreas Stöckli, der Post wird oft vorgeworfen, dass sie mit gewissen Zukäufen von Firmen nicht rechtens handle. Sie haben ein Gutachten verfasst, dass gewisse Zukäufe einzeln beurteilt. Wie lautet Ihr Fazit?
Andreas Stöckli: Bevor ich zum Fazit komme, möchte ich kurz einordnen. Die Post befindet sich in einem schwierigen Umfeld. Gewisse Geschäftsbereiche der Post unterliegen einem enormen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel. Ausserdem sind die Umsätze in einigen der klassischen Geschäftsfelder rückläufig – dies hängt mit den veränderten Kundenbedürfnissen zusammen. Gleichzeitig gibt das Gesetz der Post vor, die politisch definierte Grundversorgung eigenwirtschaftlich und ohne Subventionen zu erbringen. So muss sie etwa Briefe und Pakete mindestens an fünf Wochentagen zustellen. Und das in allen ganzjährig bewohnten Siedlungen der Schweiz.
Das Postorganisationsgesetz (POG) sieht nun im Artikel 3 vor, dass die Post nicht nur Grundversorgungsaufgaben, sondern auch damit zusammenhängende Dienste wahrnehmen darf. In diesem Zusammenhang spricht man von sogenannten Annex- oder Nebentätigkeiten. Die Einnahmen aus diesen Nebentätigkeiten dürfen auch dafür verwendet werden, Grundversorgungsaufgaben zu finanzieren. Dies ist vom Gesetzgeber so gewollt, damit die Post die Grundversorgung eigenwirtschaftlich erbringen kann. In meinem Gutachten habe ich nun analysiert, ob gewisse Aktivitäten der Post mit diesem Artikel 3 im Postorganisationsgesetz vereinbar sind. Genauer unter die Lupe genommen habe ich etwa folgende Tätigkeiten: Tätigkeiten auf dem digitalen Werbemarkt, insbesondere der Livesystems Group AG sowie der Bring! Labs AG und Tätigkeiten im Bereich des vertraulichen Transports von digitalen Informationen. Dabei ging es insbesondere um die Klara Business AG, die Tresorit AG sowie die Dialog Verwaltungs-Data AG. Mein Fazit: Ja, die Tätigkeiten in den Bereichen der digitalen Werbung und der digitalen Informationsübermittlung sind grundsätzlich vereinbar mit dem Zweckartikel.
Warum? Genau das wird ja von der Konkurrenz angezweifelt.
Weil die vorliegende juristische Auslegung des Zweckartikels zum Schluss kommt, dass dieser und die zulässigen Nebentätigkeiten in einem weiten und dynamischen Sinne zu verstehen sind. Der Zweckartikel erlaubt es der Post in einem gewissen Rahmen, auf neue Marktentwicklungen und veränderte Kundenbedürfnisse, wie beispielsweise die Digitalisierung, flexibel reagieren zu können.
Wie kommen Sie zum Schluss, dass man von einem weiten Verständnis des Artikels ausgehen muss?
Schaut man sich den genauen Wortlaut des Gesetzes an, so sind dort die Nebentätigkeiten der Post offen umschrieben. Es heisst dort sinngemäss, dass die Post Aktivitäten ausüben darf, die mit den Grundversorgungsaufgaben zusammenhängen. Zur juristischen Analyse von jedem Gesetzesartikel gehört es aber auch, die Materialen zu analysieren. Hierbei handelt es sich im konkreten Fall insbesondere um die Botschaft des Bundesrats sowie die Parlamentsprotokolle. Schaut man sich diese Unterlagen zu Artikel 3 des Postorganisationsgesetzes an, stellt man fest, dass der Gesetzgeber mit diesem Zweckartikel unter anderem sicherstellen wollte, dass die Post ihre Eigenwirtschaftlichkeit aufrechterhalten, sie in den sich rasch wandelnden Märkten bestehen und sich entsprechend weiterentwickeln kann. Der Gesetzgeber ging also von einem weiten und dynamischen Verständnis des Zweckartikels aus. Ebenfalls muss man beachten, dass der Bundesrat den Zweckartikel im Rahmen der strategischen Ziele konkretisiert. Die strategischen Ziele sind das zentrale Instrument des Bundesrats, um auf die strategische Ausrichtung der Post Einfluss zu nehmen. Sie sind ebenfalls im Postorganisationsgesetz vorgesehen. Und wenn man sich die heutigen strategischen Ziele des Bundesrats anschaut, so sieht man folgendes: Der Bundesrat verlangt von der Post, dass sich diese an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientiert und dass die Post zeitgemässe Angebote entwickelt. Insbesondere im Bereich des Informations- und Datenverkehrs.
Nicht nur Firmenzukäufe, auch die digitalen Dienstleistungen der Post werden immer wieder in Frage gestellt. Es wird kritisiert, dass diese nichts mit dem eigenen Kerngeschäft der Post zu tun hätten…
Im Vordergrund der Aufgaben der Post soll der Grundversorgungsauftrag stehen. Im Bereich der Postdienste sind dies physische Dienstleistungen, etwa der Transport von Briefen und Paketen. Klar ist auch, dass im Bereich der Postdienste derzeit digitale Dienstleistungen nicht zu diesem Grundversorgungsauftrag und zum eigentlichen Kerngeschäft der Post gehören. Digitale Dienstleistungen dürfen aber unter Umständen als Nebentätigkeiten angeboten werden. So hat die Post damit begonnen, gewisse Postdienste, die bisher rein physisch angeboten worden sind, in die digitale Welt zu überführen. Es besteht also ein Zusammenhang zu den Haupttätigkeiten. Das Bild der Postkutsche verdeutlicht, dass sich die Post seit ihrer Gründung stets dem gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technologischen Wandel anpassen musste.
Also stellt sich ganz konkret die Frage, ob digitale Dienstleistungen zum Grundversorgungsauftrag der Post gehören. Was sagen Sie dazu?
Im Bereich der Postdienste gehören digitale Dienstleistungen derzeit nicht zum Grundversorgungsauftrag. Es wird aber darüber diskutiert, ob dies künftig anders sein soll. Es liegen Vorschläge einer von den Bundesbehörden eingesetzten Expertenkommission vor. Letztlich ist es aber an der Politik zu entscheiden, was zur Grundversorgung im Bereich des Postwesens gehört.
Aber es gibt doch bestimmt auch Grenzen, oder?
Ja, es gibt gewisse Grenzen. Die Post muss sich im Rahmen von Artikel 3 Postorganisationsgesetz bewegen. Tätigkeiten, die nicht in einem sachlich zu begründenden Zusammenhang zu den Haupttätigkeiten stehen, sind nicht erlaubt. Das heisst, es braucht einen Zusammenhang zu den Haupttätigkeiten der Post, und es gibt auch Aktivitäten, die der Post gesetzlich ausdrücklich verboten sind. Das zeigt also, dass es klare Grenzen gibt.
Zur Person:
Andreas Stöckli ist ein Schweizer Rechtswissenschaftler.
Seit Februar 2018 ist er ordentlicher Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Freiburg und Mitglied der Direktion des Instituts für Föderalismus. Seit 2020 ist er zudem Präsident des Departements für Öffentliches Recht der Juristischen Fakultät.
Haben auch Sie Fragen an Herrn Stöckli? Dann laden wir Sie ein, Ihre Fragen direkt an den Autor des Gutachtens zu stellen.
Termin
Datum: Donnerstag, 2. Juni 2022
Zeit: 10.00 – 11.00 Uhr
Ort: Teams-Call oder Bern
Bitte geben Sie uns doch bis Mittwoch, 1. Juni 2022, um 16.00 Uhr an presse@post.ch Bescheid, ob Sie am Mediengespräch teilnehmen werden. Den Teams-Link und weitere Details zu Ort erhalten Sie nach der Anmeldung.
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