Die Post verteilt politische Werbung trotz «Stopp Werbung»-Kleber – Darf sie das?
«Jetzt Liste 5 wählen», «Unsere Frau für den Regierungsrat» – so und ähnlich klingt es auf Broschüren und Flyern wenige Wochen vor Wahlen oder Abstimmungen. Auch im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen 2023 werden Parteien wieder um die Gunst der Wählerinnen und Wähler buhlen - unter anderem indem sie Flyer und Werbematerial per Post verschicken. Zielort: die Briefkästen von Herrn und Frau Schweizer. Aber geht das trotz dem Hinweis «Stopp Werbung» überhaupt? Die Post klärt auf.
Regelmässig wird die Post gefragt, ob politische Werbung im Briefkasten zulässig sei, wenn am Briefkasten zum Beispiel ein Kleber «Bitte keine Werbung» oder «Stopp Werbung» haftet. Darf die Post in diesem Fall Broschüren oder Flyer von politischen Parteien trotzdem einwerfen? Missachtet sie dabei nicht die klare Ansage der Briefkastenbesitzer? Und: Gilt für politische Werbung nicht ganz einfach dasselbe wie für Werbung für die neue Duftlinie eines Parfumherstellers?
Deutschschweiz ist werbekritischer
Doch fangen wir von vorne an. Rund 61 Prozent der Schweizer Briefkästen sind mit einem Schild oder einem Kleber mit der Information «Bitte keine Werbung» versehen. Damit äussern die Briefkastenbesitzer den Wunsch, keine unadressierte Werbung zu erhalten. Das heisst, Werbe-Flyer oder Broschüren, die an alle Haushalte einer bestimmten Postleitzahl oder eines Orts verteilt werden, sind in diesen Briefkästen nicht willkommen. Der Anteil Briefkästen mit einem entsprechenden Hinweis ist in der Deutschschweiz mit 63 Prozent am höchsten. In der Romandie liegt er bei 58 Prozent und in der italienischsprachigen Schweiz bei 55 Prozent. Einen Stopp-Werbung-Vermerk müssen alle Firmen beachten, die unadressierte Werbung verteilen. Auch die Post respektiert diesen Wunsch. Adressierte Werbung hingegen stellt die Post auch zu, wenn ein Stopp-Werbung-Vermerk am Briefkasten angebracht ist. Dazu ist sie verpflichtet.
Politische Werbung ist eine «offizielle Sendung»
Was gilt aber für unadressierte Flyer und Broschüren von politischen Parteien? Darf die Post sie trotz Stopp-Werbung-Vermerk in die Briefkästen zustellen? Die Antwort ist Ja. Denn Werbung von politischen Parteien gilt als sogenannte «offizielle Sendung». Damit Sendungen als «offiziell» gelten und von der Post und anderen Organisationen in alle Briefkästen zugestellt werden dürfen, müssen sie zu einer der folgenden Kategorien gehören:
- Sendungen von Behörden, von Verwaltungen und öffentlichen Unternehmen des Bundes, von Kantonen und Gemeinden, soweit diese Absender mit ihren unadressierten Sendungen nicht vorwiegend kommerzielle Zwecke verfolgen
- Amtliche Anzeiger und andere amtliche Publikationsorgane
- Sendungen von politischen Parteien
- Sendungen von überparteilichen Komitees, die in einem konkreten Zusammenhang mit bevorstehenden Wahlen und Abstimmungen stehen
- Sendungen nicht kommerzieller Natur, die dem Informationsbedürfnis einer breiten Öffentlichkeit entsprechen (beispielsweise Blutspendeaufrufe, Informationen über Bauvorhaben, Lärm oder Verkehr, Unterbrüche von Versorgungsleitungen wie Strom, Wasser, Gas, Telefon, Sirenentests)
- Sendungen von Entsorgungs- und Recyclingunternehmen (Kleider- und Schuhsäcke, Batteriebags usw.)
- Sendungen von gemeinnützigen, steuerbefreiten Organisationen, die von der Stiftung ZEWO zertifiziert sind oder deren gemeinnütziger Charakter aus anderen Gründen unbestritten ist. Nicht jedoch kommerzielle Prospekte mit Shopartikeln
Die Post stützt sich bei dieser Regelung auf die Grundsätze der Schweizerischen Lauterkeitskommission SLK und hat sich dazu auch mit dem Konsumentenschutz abgesprochen.

Michael Hermann ist Politikwissenschaftler und Geograph und leitet die Forschungsstelle Sotomo. Bild: © Marion Nitsch/Lunax
«Briefkästen tragen zur freien Meinungsbildung bei»
Politikwissenschaftler Michael Hermann sieht in den Briefkästen der knapp vier Millionen Schweizer Haushalte auch einen Faktor für eine pluralistische Meinungsbildung. Er sagt: «Einem Plakat am Strassenrand kann man schlecht ausweichen. Ähnlich verhält es sich mit dem Briefkasten. Man kann nicht steuern, wer einen Flyer hinterlässt.» Die Wählerinnen und Wähler werden laut Hermann via Briefkasten eher noch mit anderen Meinungen und Ideen konfrontiert als zum Beispiel auf den sozialen Medien. Denn online entscheiden Algorithmen, welche Inhalte zum jeweiligen User passen. Der Postweg führt laut Michael Hermann auch dazu, dass der wachsende Bevölkerungsteil, der keine News konsumiert, dennoch mit politischen Inhalten in Kontakt kommt: «Es ist für Parteien und Komitees fast die einzige Möglichkeit diese Gruppen zu erreichen.»
Trägt der Briefkasten zu Hause also gar zu einer lebendigen Demokratie bei? So oder so tun die Mitarbeitenden der Post alles dafür, dass die ihnen anvertrauten Briefe, Pakete, Flyer, Broschüren, Flugblätter und andere Publikationen – adressiert oder unadressiert – jeweils sicher und pünktlich ihren Zielort erreichen.
Mehr zur Schweizerischen Lauterkeitskommission auf: www.faire-werbung.ch
Mehr zur Post-Dienstleistung PromoPost: www.post.ch/promopost.
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