Der Spurensucherin über die Schulter geschaut

Wenn es bei der Post klemmt, ist der Kundendienst die erste Anlaufstelle. Wer hier arbeitet, ist Fachexperte, Detektivin und Verkäufer in einem. Und auch ein wenig Psychologin. So wie Eva Schmutz-Jaros im Contact Center Fribourg. Protokoll einer halben Stunde.

Diese verflixte Fahne. Sie steckt in einem Päckli, die Frage ist nur wo. 10.15 Uhr, Eva Schmutz-Jaros klickt sich durch die Programme auf ihren zwei Bildschirmen, wacher Blick, es geht schnell. Später wird sie sagen: «Ein zufriedener Kunde mehr». Noch aber hat sie keine Ahnung und die Zeit drängt. Der Empfänger möchte die Fahne unbedingt mit in die Ferien nehmen. Sagt jedenfalls der besorgte Absender. Er hat das Contact Center der Post angerufen und ist in Freiburg bei Schmutz-Jaros gelandet. Seit acht Jahren arbeitet sie beim Kundendienst der Post. Prothesen, Zahnimplantate oder verschwundene Pässe hat sie in dieser Zeit gesucht und aufgestöbert, einmal gar ein Brautkleid am Tag der Hochzeit. Dinge, die irgendwo steckenbleiben, «weil irgendwo der Prozess klemmt», wie sie sagt.

Eva Schmutz-Jaros: Die Kundendienst-Mitarbeiterin hat schon ein Hochzeitskleid am Tag der Trauung aufgestöbert und eine Braut glücklich gemacht. Eine unauffindbare Fahne? Kein Problem für die 54-Jährige.

Eva Schmutz-Jaros: Die Kundendienst-Mitarbeiterin hat schon ein Hochzeitskleid am Tag der Trauung aufgestöbert und eine Braut glücklich gemacht. Eine unauffindbare Fahne? Kein Problem für die 54-Jährige.

 

Wichtig: Die «richtigen» Fragen
Sechs Contact Center betreibt die Post schweizweit, nirgendwo ist sie näher bei den Sorgen der Kunden als hier. Päckli, die beschädigt sind, Briefe, die nicht ankommen, zugestellte Schoggi, die im Briefkasten davongeschmolzen ist, Fragen zur Verzollung, ein ungültiges Login oder jener Anrufer, der gleich mit einem Beschwerdebrief an den CEO droht: Der Kundendienst ist die erste Anlaufstelle. Das oberste Ziel: So rasch wie möglich eine Lösung bieten. Das Erfolgsrezept der Mitarbeitenden? Gut zuhören, verständnisvoll und freundlich sein. «Und die richtigen Fragen stellen», sagt Kundendialog-Mitarbeiterin Schmutz-Jaros. Dann folgt die Detektivarbeit in den Tiefen der eigenen Recherchetools und Systeme. Manchmal reicht danach ein Anruf in das landesweit verzweigte Netz der Post, manchmal braucht es viele. So auch bei der Fahne. Es ist bereits 10.30 Uhr. Eva Schmutz-Jaros weiss inzwischen: Das Päckli ist in Basel, irgendwo auf einem Wagen. Mit der Feinabstimmung hat es nicht geklappt, weil der Botenbezirk und die Botentour … der Laie runzelt die Stirn. Für die Mitarbeiterin des Contact Center ist es Alltag.

Hier ist die Post grün, das Licht gedämpft, die Atmosphäre luftig: Contact Center in Fribourg (hier im Standort für Geschäftskunden).

Hier ist die Post grün, das Licht gedämpft, die Atmosphäre luftig: Contact Center in Fribourg (hier im Standort für Geschäftskunden).


Beruhigend: Tiefenatmung
Dieser Alltag in Zahlen? Monatlich bewältigt der Kundendienst 130 000 telefonische Anfragen, 30 000 E-Mails, 6000 Reklamationen, 1500 Nachforschungen. Die Wartezeit am Telefon beträgt rund 50 Sekunden, eine E-Mail wird innert 8 Stunden beantwortet, ein Brief innert weniger Tage. Bei Spitzen wie an Weihnachten dauert es auch mal länger. Auch die Social-Media-Kanäle sind beliebt, monatlich rund 2500 Anfragen, Tendenz steigend. Eine Antwort kriegt der Kunde hier innert 2.5 Stunden.

Klar ist: Dem Kundendienst geht die Arbeit nie aus. Das ist das Eine. Das Andere: «Es ist ein verantwortungsvoller Job, der einiges an Fingerspitzengefühl verlangt», sagt Manuela Niendorf, die den Kundendienst in Kriens leitet. Konkret: Wer im Contact Center arbeitet, ist Fachexperte, Produktmanagerin und Verkäufer für die digitalen Lösungen der Post in einem. Und auch ein wenig Psychologin. Natürlich sind die meisten Kunden nett, verständnisvoll und einzig auf der Suche nach Informationen. Doch jene, die zum Telefon greifen und richtig Dampf ablassen, gibt es auch. Dann zeichnet Eva Schmutz-Jaros mit den Schuhen eine Acht auf den Boden, immer wieder. «Das beruhigt», sagt die 54-Jährige. Doch manchmal helfen einzig Tiefenatmung, eine kurze Unterbrechung und wenig später ein Rückruf. Meistens sei dann die Luft «draussen», der Kunde beruhigt, man kommuniziere wieder auf Augenhöhe, finde sich.

Zu zarte Pflänzchen haben in einem Call-Center einen schweren Stand. Auch im Contact Center der Post brauchen die Mitarbeitenden ab und an eine dicke Haut.

Zu zarte Pflänzchen haben in einem Call-Center einen schweren Stand. Auch im Contact Center der Post brauchen die Mitarbeitenden ab und an eine dicke Haut.


Hilfreich: Eine angenehme Umgebung
Beruhigend wirkt auch das Innern des Contact Center. Zwar lautet sein Motto «Dein Freund in der gelben Welt». Aber hier ist die Post grün. Jedenfalls an den Wänden, was aus psychologischer Sicht beruhigend wirkt, dazu viele Pflanzen, Rückzugsmöglichkeiten, temperiertes Licht. Die Büroraumgestalter haben sich etwas überlegt. Auf grossen Bildschirmen lässt sich ablesen, wie viel Arbeit anfällt und wie gross die Warteschlaufe ist. Ein Mitarbeiter verteilt im 15-Minuten-Takt die Arbeit immer wieder neu. Intraday-Management nennt sich das. So verhindert er einen Flaschenhals und hält die Wartezeiten möglichst kurz. Ein bewährtes System. «Wir erhalten viele positive Rückmeldungen», sagt Manuela Niendorf. «Es ist angenehm, in dieser Umgebung und mit diesem System zu arbeiten», sagt Eva Schmutz-Jaros. 10:47 Uhr, die Fahne ist nach 32 Minuten gefunden, der besorgt Absender informiert, der Empfänger kann sich freuen. Hisst da bald einer im Urlaub seine Fahne? Schmutz-Jaros schmunzelt. «Ein zufriedener Kunde mehr». Und schon geht die Hand wieder zur Maus.

Wenig los im Moment: Wer jetzt anruft, hat Glück und wird in Kürze bedient. Das ist nicht immer so. In Spitzenzeiten müssen die Kunden auch mal Geduld haben. Dann ist der Bildschirm tiefrot.

Wenig los im Moment: Wer jetzt anruft, hat Glück und wird in Kürze bedient. Das ist nicht immer so. In Spitzenzeiten müssen die Kunden auch mal Geduld haben. Dann ist der Bildschirm tiefrot.

 

Tausendmal geklickt: Auch im Kundendienst ist die Maus das meistbenutzte Hilfsmittel. | Bilder: Erich Goetschi

Tausendmal geklickt: Auch im Kundendienst ist die Maus das meist benutzte Hilfsmittel. | Bilder: Erich Goetschi/zvg

 


Der Kundendienst in Kürze

  • Die Post betreibt sechs Standorte: Fünf für Privatkunden in Schaffhausen, Niederwangen, Kriens, Visp und Fribourg. Dazu kommt ein weiteres Contact Center für Geschäftskunden (auch in Fribourg);
  • Mitarbeitende: 350 – davon sind 47 Lernende (Fachfrau/-mann Kundendialog);
  • Erreichbar: Unter der Woche 7.30 bis 18 Uhr und Samstag von 8 bis 12 Uhr;
  • Sprachen: Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch;
  • Postfinance und Postauto betreiben ein eigenes Contact Center.


Mehr Infos?
Diese finden Sie hier



Nachgefragt

Ungewohnte Anfragen, Hauruck-Übungen, nette und anspruchsvolle Kunden: Langweilig wird es im Contact Center der Post nicht. Mitarbeiterinnen erzählen.

 

Mara Kraus: «Und dann ruft ein echter Mensch zurück und gibt ein Feedback.»

Mara Kraus: «Und dann ruft ein echter Mensch zurück und gibt ein Feedback.»

Mara Kraus, seit bald vier Jahren Kundendienst-Mitarbeiterin für den Standort Kriens.

Mara Kraus, Ihre aussergewöhnlichste Anfrage?
Da war jener Kunde, der in London wohnt. Seine Schwester schickt ihm vor Weihnachten ein Päckli aus der Schweiz. Er verpasst es, da er schon auf dem Weg in die Heimat ist. Dann die Tragödie: Die Schwester verstirbt an Silvester. Zurück in London, hat der Mann zwar eine Abholungseinladung im Briefkasten, das Päckli wurde aber inzwischen an die Absenderin in der Schweiz zurückgeschickt. Nur: Die Wohnung der Schwester ist bereits geräumt, keine Zustellung mehr möglich, ausserdem hat die Sendung keine Sendungsnummer – schwierig. Doch das Päckli ist für den Mann von hohem emotionalen Wert, wir setzen alle Hebel in Bewegung. Distributionsbasis, Poststellen, Kundendienst, alle helfen mit. Tatsächlich finden wir das Päckli und können es der Mutter der Geschwister in der Schweiz zustellen. Der Mann war sehr, sehr dankbar.

Welche Kunden waren von Ihnen am meisten begeistert?
Was mir grundsätzlich auffällt – wie wenig es braucht, damit sich Kunden freuen. Eine kleine Aufmerksamkeit, ein paar nette Worte auf einem offiziellen Brief von Hand zusätzlich geschrieben, Briefmarken, ein Gutschein als Entschädigung oder sei es nur aufrichtige Freundlichkeit am Telefon: Was da an positivem Feedback zurückkommt, ist bemerkenswert.

Ihr Geheimtipp im Umgang mit aufgebrachten Kunden?
Die Leute wertschätzen, mit Verständnis «überschütten». Dabei helfen Sätze wie «Ja, das verstehe ich total gut» oder «Danke, dass Sie uns deswegen angerufen haben» – die Kunden fühlen sich so aufgehoben und verstanden. Es ist auch ehrlich gemeint. Die Post ist ein riesiger Laden, da passieren auch Fehler. Wenn uns Kunden solche melden, können wir uns auch verbessern

Weshalb arbeiten Sie gerne für das Contact Center?
Weil wir hier Einfluss nehmen und helfen können. Und etwas bewegen. Auf ein Mail antworte ich immer per Telefon. Die Leute sind dann erstaunt und begeistert, wenn da ein echter Mensch zurückruft und Feedback gibt, nachdem sie eine Meldung ins digitale Off geschickt haben. Das finde ich sehr schön.

 

Eliane Kolly: «Solches vergisst man nicht.»

Eliane Kolly: «Solches vergisst man nicht.»

Eliane Kolly, seit bald drei Jahren Kundendienst-Mitarbeiterin im Standort Fribourg.

Eliane Kolly, Ihre aussergewöhnlichste Anfrage?
Jener Kunde, der wissen wollte, wo seine Matratze, 2 auf 2 Meter gross, steckt. Dabei hat er sie Express bestellt und am Tag danach zwischen 7 und 9 Uhr erwartet. Leider ist die Zustellung zu spät dran, auch tags darauf klappt es nicht, im dritten Anlauf dann doch. Ich biete eine Entschädigung fürs Warten an, doch der Mann lehnt dankend – er war einfach nur happy.

Welche Kunden waren von Ihnen am meisten begeistert?
Da war die Kundin, die sich nach einer Express-Sendung erkundet, darin ihr Pass und Visum für China, tags darauf geht der Flieger. Dann finde ich heraus: Fehlleitung, falscher Botenbezirk. Ich nehme mit dem Absender Kontakt auf, die «falsche» Poststelle mit der Empfängerin. Es ist eng, aber dank Teamwork klappt es. Die Frau stieg wie geplant mit gültigen Papieren in den Flieger. Ein anderer Fall: die Sendung für Singapur, auf die eine Firma sehnlichst wartete. In der Schweiz will gar ein Mitarbeiter der Firma das Express-Paket in Empfang nehmen und gleichentags damit nach Asien fliegen. Auch hier: eine Fehlleitung, danach eine «Übung», am Ende ging alles gut. Solches vergisst man nicht.

Ihr Geheimtipp im Umgang mit aufgebrachten Kunden?
Ich lasse sie jeweils reden – bis Sie fragen, ob ich noch da sei. Dann antworte ich mit einem freundlichen «Ja, ich höre Ihnen zu». Dann ist meistens wieder gut. Was oft Wunder wirkt: Emotionale Kunden in ein Gespräch verwickeln, auf persönliche Dinge ansprechen, auf die Antworten eingehen, zeigen, dass man sie ernst nimmt.

Weshalb arbeiten Sie gerne für das Contact Center?
Es ist sehr abwechslungsreich. Und mir gefällt das Zwischenmenschliche. Vor allem ältere Kunden erzählen mir oft aus ihrem Leben, ich kann Anteil nehmen. Ich gehe sehr gerne auf Leute zu, als gelernte Coiffeuse und ehemalige Zustellerin der Post fällt mir das leicht. Und: Im Contact Center habe ich mit über 50 Jahren noch den Umgang mit dem Computer gelernt – was toll ist.