Der Spion, der mir die Postkarte schrieb
Was in früheren Zeiten nach einem einfachen Postkartengruss aussah, barg manchmal ein Geheimnis. Oft waren unter den Briefmarken geheime Botschaften versteckt, die der Empfängerin oder dem Empfänger vertrauliche, süsse oder strategische Nachrichten überbrachten. Zahlreiche Beispiele davon, sonderbar gefaltete Briefschreiben mit verborgenen Informationen sowie weitere Kuriositäten aus der Welt der Spionage, des Schmuggels und des Zolls, beherbergt ein Museum im bernischen Lyss.
Nur wenige Gehminuten vom Bahnhof Lyss im Berner Seeland entfernt, fällt ein Anwesen besonders auf: eine gepflegte Villa, umgeben von einem Garten, den zahlreiche Objekte zieren. Diese haben es in sich. So stehen da zum Beispiel ein altes Zollhäuschen, ein Oldtimer oder ein seetüchtiges kleines U-Boot. Eine besondere Welt zeigt sich auch im Haus – dort präsentieren sich unzählige, kostbare Stücke aus der Welt der Spionage, des Schmuggels und des Zolls. 21 Zimmer beinhaltet das private Museum «Schein und Sein». Thematisch geordnet, befinden sich dort auf mehreren Stockwerken allerlei Kuriositäten – teilweise hinter Schränken und Geheimtüren. Vom aufschraubbaren Zweifränkler über den scheinbar harmlosen Gehstock mit einer versteckten Stachelwaffe bis hin zum Jesuskreuz, das sich auch als Pistole einsetzen lässt. Kurz: eine Art Requisitensammlung aus James-Bond, Illuminati und Indiana Jones.

Bewahrt der Schrank weitere Schätze der Sammlung oder ist er eine Geheimtür zum nächsten Raum?
Schein und Sein
Seit rund dreissig Jahren sammelt Lucien Ingivel Raritäten aus der ganzen Welt. Auch der schriftlichen Korrespondenz unter Spionen, Schmugglern, Militärs und Liebespaaren ist eine Ausstellung gewidmet. In einem der Räume zieren in Plastikhüllen sorgsam verpackte Postkarten die Wände – manche sind über 100 Jahre alt. An Stelle der Briefmarke sind kurze Nachrichten zu erkennen, doch ihre Botschaft in feiner, kleiner Schnörkelschrift lässt sich nur erahnen. «Heute schickt man sich schnell eine SMS. Doch früher waren Briefe und Postkarten oft der einzige Kommunikationsweg für Liebespaare, Agenten in geheimer Mission oder Kriminelle», erläutert Lucien Ingivel den Zweck der Korrespondenz. Die Schreiben wurden mit scheinbar harmlosen Grussbotschaften oder Berichten getarnt – aber unter der Briefmarke versteckte sich die wirkliche Information. Auch war es üblich, dass Briefe strategische Informationen beinhalteten, zum Beispiel bei militärischen Operationen im Krieg. «Erst richtig gefaltet, ergibt der Inhalt auf dem Briefpapier einen Sinn, sehen Sie hier», sagt der leidenschaftliche Sammler und demonstriert, wie ein A4-Blatt zu einer eckigen Form gefaltet ein Wort ergibt. Auch er selbst hat eine Vorliebe für die Briefpost. So ist in seinem Museum – behütet von einer Vitrine – jene Postkarte ausgestellt, mit der er seiner heutigen Ehefrau einen Heiratsantrag gemacht hat. Natürlich unter einer Briefmarke. Auch Anfragen an ausländische Zollämter, ihm Gegenstände als Ausstellungsstücke zu spenden, schickt er vorzugsweise schriftlich, denn «ein handschriftliches Schreiben beeindruckt einfach in der heutigen Zeit», meint der 42-Jährige, der mit seiner Gattin und den zwei kleinen Kindern im «Museum» wohnt. So kam er unter anderem auch zu einem Feuerlöscher mit einem Doppelboden aus Bulgarien.

Ein Raum der Ausstellung «Schein und Sein» ist nur über 100-jährigen Postkarten und Briefen gewidmet, die geheime Botschaften bergen.

Die Briefmarken wurden früher oft verwendet, um geheime Informationen zu verdecken. Sie waren nur für den Empfänger bestimmt.
Ein Hobby und Beruf
Die Sammlung zeigt: Die Ideen der Schmuggler und Spione kennen scheinbar keine Grenzen. Auch in seinem Arbeitsalltag befasst sich Lucien Ingivel mit Grenzen. Als Grenzwächter hat er sein Hobby zum Beruf gemacht. Ob er dank seiner beruflichen Tätigkeit leicht an beschlagnahmte Dinge für seine Sammlung gelange? «Auf keinen Fall. Beschlagnahmte Ware bleibt im Besitz des Schweizer Zollamtes», sagt Lucien Ingviel pflichtbewusst. Alle Gegenstände hat er in den letzten dreissig Jahren in Brockenstuben oder Flohmärkten aufgestöbert, geschenkt bekommen, ersteigert oder Privatpersonen abgekauft. Dass seine Ausstellung auch eindrückliche und lebensgrosse Tierpräparate und kostbare Schätze aus Tiermaterialien zeigt, hat einen Grund: Seine Arbeit hat viel mit Tierschmuggel zu tun. Hinter einem Gürtel aus Schlangenleder oder einem Kamm aus Elfenbein verberge sich oft die Leidensgeschichte eines Tieres, sagt er betroffen. «Es ist meine Aufgabe im Alltag, die Tiere zu finden, bevor es zu spät ist. Und sie zu schützen», erklärt Ingivel.

Ein scheinbar harmloser Gehstock lässt sich im Nu zu einer ausgeklügelten Waffe umfunktionieren. Dies ist nur ein Beispiel der zahlreichen Gegenstände im Museum, die aus einem James-Bond-Film stammen könnten.

Die Ideen der Schmuggler kennen keine Grenzen: So wurden früher auch Gips-Verbände genutzt, um Kokain – vermengt in der Masse des Verbands – über die Grenzen zu bringen.
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