Bis zehn Grad fährt er sogar mit Krawatte

Bei der Post schwingen sich im Juni die Mitarbeiter wieder auf den Sattel und machen bei der nationalen Veloaktion «Bike to Work» mit. Doch viele radeln nicht nur einen Monat lang, sondern das ganze Jahr über bei Wind und Wetter zur Arbeit – so wie Stephan Fischer. Was es dafür braucht? Freude an der Bewegung, eine genaue Planung und gute Organisation.

Gut erkennbar: Wenn immer möglich ist Fischer in auffälligem Post-Gelb unterwegs. | Bilder: Erich Goetschi

Gut erkennbar: Wenn immer möglich ist Fischer in auffälligem Post-Gelb unterwegs. | Bilder: Erich Goetschi

 

Stephan Fischer lacht. Nein, ein politischer Pneustecher sei er keinesfalls. «Ich fahre einfach gerne Velo. Ich mag den Fahrtwind, das Gefühl», sagt der 52-Jährige, der am Post-Hauptsitz in Bern als Prozessgestalter arbeitet. Während im Juni Hunderte von Post-Mitarbeitern an der Fahrrad-Challenge «Bike to Work» teilnehmen (siehe Infobox) und auf zwei statt vier Rädern zur Arbeit düsen, ist Fischer einer von zahlreichen Post-Mitarbeitern, die das ganze Jahr aufs Velo setzen – egal, wie kalt oder garstig das Wetter ist. Seit 32 Jahren radelt der Baselbieter in Kombination mit dem ÖV ins Büro. Ein Auto hat er für den Weg zur Arbeit in seinem Leben noch nie gebraucht, obwohl eines in seiner Garage zuhause in Ormalingen BL steht. Aber dieses fahren fast ausschliesslich die Frau und die beiden jüngeren Kinder (18 und 22 Jahre).

Auf dem Heimweg: Vom Post-Hauptsitz bis an den Bahnhof Bern benötigt Stephan Fischer rund zwölf Minuten.

Auf dem Heimweg: Vom Post-Hauptsitz bis an den Bahnhof Bern benötigt Stephan Fischer rund zwölf Minuten.

So klingelt Fischers Wecker unter der Woche um 5.15 Uhr, um 5.43 Uhr geht er aus dem Haus und radelt an den Bahnhof in Gelterkinden BL. Dort schliesst er das Velo ab, nimmt um 5.59 Uhr den Zug nach Olten, elf Minuten Fahrt, Zwischenstopp mit Kaffee, danach geht es weiter mit der Bahn in die Hauptstadt. Kurz nach 7 Uhr schnappt sich Fischer am Berner Bollwerk sein Militärvelo, Jahrgang 1954, zwölf Minuten später ist er am Post-Hauptsitz im Wankdorf. Natürlich müsse er sich jeweils am Vorabend über Kleidung, Gepäck und Wetter Gedanken machen. Aber eine Hexerei sei das tägliche «Bike to Wok» nicht. «Planung und Organisation sind alles», sagt Stephan Fischer. Wirklich? Wir haben nachgehakt.

Stephan Fischer, am Bahnhof Bern kommt doch der Göppel ständig weg.
Stephan Fischer: Das hat was. Seit 2005 arbeite ich in Bern für die Post und bin in dieser Zeit um sechs Velos ärmer geworden. Erkenntnis 1: Gestohlen werden Velos am Wochenende. Erkenntnis 2: Fahrräder, denen die Luft fehlt, stiehlt niemand. Mein Trick: Am Freitagabend die Pneus «lüftele», montags wieder pumpen. Funktioniert wunderbar.

Wind und Schauer – das Wetter ist eine Spassbremse.
Eine Regenjacke genügt. Pro Jahr komme ich im Schnitt 15 Mal mit nassen Hosen ins Büro, heisst durchschnittlich jeden 17. Arbeitstag. Das ist verkraftbar. Und nasse Hosen lassen sich in der Herrengarderobe in der Tiefgarage wunderbar schnell föhnen.

Velofahren in der Arbeitskleidung? Da schwitzt man ja …
Sicher niid! Auch mit schönen Arbeitskleidern fährt es sich auf einem normalen Velo ohne Schweiss ins Büro, bei bis zu 10 Grad kann ich sogar eine Krawatte tragen, ohne dass es mir um den Hals zu heiss wird. Und, ganz wichtig: Man muss einfach «normal» pedalen und nicht bolzen – und sollte sich nicht provozieren lassen, wenn man von einem E-Velo mit Einkaufskörbli überholt wird.

Der Trick: Freitagabends am Bahnhof Bern dem Pneu die Luft rauslassen – und am Montagmorgen wieder pumpen.

Der Trick: Freitagabends am Bahnhof Bern dem Pneu die Luft rauslassen – und am Montagmorgen wieder pumpen.

Wenn Sie für die Post auswärts unterwegs sind, nehmen Sie das Velo mit. Komplizierter geht es nicht!
Zugegeben, das Velo im Zug mitnehmen ist zuweilen aufwändig. Aber wenn ich für die Post «im Aussendienst» bin, möchte ich nicht darauf verzichten, vor Ort mag ich kein Fahrrad mieten. Knifflig ist es vor allem im Raum Zürich wegen des Veloverbots in der S-Bahn während den Stosszeiten. Für den Weg zu Post-Standorten wie Urdorf oder Zürich-Mülligen muss ich entsprechend einen Umweg einplanen und auf Interregio-Züge ausweichen, um ans Ziel zu gelangen – da ist die Velo-Mitnahme immer erlaubt. Dann klingelt halt der Wecker früher …

Velofahren im heutigen Verkehr – zu gefährlich.
Nicht, wenn man vorausschauend unterwegs ist. Fahre ich durch Bern, benutze ich wenn immer möglich Quartier- und Nebenstrassen Und natürlich gilt Helm auf, bereits seit 1994, als ich nach einem Unfall eine Halskrause tragen musste. Ein Velo-Rowdy hatte mich damals abgeschossen. Dazu trage ich eine Weste, natürlich auffälliges Post-Gelb, und wenn es dunkel ist, strahle ich mit Rückstrahler und Reflektoren wie ein Weihnachtsbaum. Auch Velopflege ist Unfallprävention. Ich pützerle ständig an meinen Velos rum, manchmal sogar im Zug, alles ist tiptop gewartet.

Eigenkreation: Stephan Fischers Militärvelo mit Triathlon-Lenker.

Eigenkreation: Stephan Fischers Militärvelo mit Triathlon-Lenker.

Täglich auf dem Velo? Da wird man doch zum verbissenen Gümmeler.
Quatsch. Ich liebe Schoggi, Pepsi-Cola und esse sogar sitzend am Tisch (schmunzelt). Ich bin alles andere als verbissen. Das sieht man auch, in den Firmanzug von damals passe ich längst nicht mehr rein Und ich zähle auch nicht die Kilometer, fahre ohne Tacho, da bin ich ein Purist. Mir geht es beim Velofahren um den Genuss.

Velo-Fans haben doch grundsätzlich einen «Flick» ab.
(lacht) So schlimm ist es gar nicht. Meine Velosammlung umfasst 18 Stück, die ganze Ausrüstung ist penibel genau katalogisiert auf über 110 Word-Seiten. Etwas verrückt, ich weiss. Aber sonst? Meine Frau hat mich noch nicht verlassen, ich bin schon Grossvater und auch kein Aktivist. Ich fahre einfach gerne Velo, habe Freude an der Bewegung und versuche dabei niemanden zu stören. Andere sammeln Briefmarken (grinst).

Nicht gestellt: Mit dem Velodress aus Baumwolle sieht man Stephan Fischer an einem Freitag ab und an im Post-Personalrestaurant im Berner Wankdorf.

Nicht gestellt: Mit dem Kult-Velodress aus Baumwolle sieht man Stephan Fischer an einem Freitag ab und an im Post-Personalrestaurant am Hauptsitz.

Aber Hand aufs Herz: «Bike to Work» ist doch nur ein Tropfen auf den heissen Stein.
Das mag sein. Trotzdem finde ich es toll, wenn sich die Post an der Aktion beteiligt. Wenn sie nur schon bei einem von fünf Teilnehmenden die Lust am Velofahren weckt, lohnt sich das Ganze. Je mehr Menschen sich dafür begeistern und vermehrt aufs Auto verzichten, desto besser. Und ich bin überzeugt, dass dies auch das Verständnis zwischen den Verkehrsteilnehmern fördert – und damit ist allen gedient.

«Je mehr Menschen sich fürs Velo begeistern und vermehrt aufs Auto verzichten, desto besser.»

Stephan Fischer, Postmitarbeiter

 

 

 

 

Nun radeln sie wieder

  • An der schweizweiten Veloaktion «Bike to Work» beteiligt sich auch die Post und motiviert ihre Belegschaft im Juni zur Teilnahme. Anmeldefrist ist Ende Mai, über 1000 Mitarbeitende sollen es am Ende sein, die einen Monat lang in die Pedale treten und Kilometer sammeln. Der nachhaltige Effekt der Aktion für die Umwelt, die eigene Fitness und den Abbau von Stress sind unbestritten.
  • Im Juni 2018 haben bei der Post 929 Mitarbeitende in 270 Teams teilgenommen und in einem Monat 159 497 Kilometer zurückgelegt – durchschnittlich 171 Kilometer pro Person.
  • Bei der diesjährigen nationalen Veloaktion, die im Mai begonnen hat und Ende Juni endet, machen gegen 2200 Betriebe mit rund 50 000 Teilnehmenden in über 13 500 Teams mit.

 

Mehr Infos zu «Bike to Work» finden Sie hier